Im Aufschwung haben viele Industrieunternehmen zusätzliche Lieferantenbeziehungen aufbauen müssen, um sich die benötigten Kapazitäten zu sichern. Jetzt – wo die Konjunktur schwächelt und die Nachfrage in vielen Bereichen spürbar zurückgeht – verursachen diese Lieferantenverbindungen übermäßig hohe Material- und Prozesskosten. Eine Konsolidierung der Lieferantenbasis ist in vielen Fällen dringend geboten. Wie aber lässt sich dies am schnellsten und effektivsten bewerkstelligen? Nach TMG-Einschätzung sind innovative Digitalisierungslösungen ein äußerst wirksamer Hebel sein, um kurzfristig die richtigen Lieferanten zu finden und Transparenz über Beschaffungskosten und zu Einsparpotenzialen herzustellen. Basierend auf diesen Informationen lassen sich Bedarfe zielführend bündeln, Volumenvorteile generieren und die erforderlichen Grundvoraussetzungen schaffen, um Lieferantenportfolios konsolidieren und zu einer nachhaltigen Senkung der Prozesskosten im Einkauf beitragen zu können.
Digitale Technologien, Ansätze und Tools breiten sich auch im Einkauf immer weiter aus. Was allerdings technologisch heute bereits mit großem Nutzen machbar ist und welch enorme Potenziale sich auch kurzfristig über intelligente digitale Lösungen erschließen lassen, ist vielen Entscheidern im Einkauf nicht oder nur oberflächlich bekannt.
Im annähernd zehn Jahre währenden Aufschwung lag der Fokus des Einkaufs weitgehend auf der Sicherung des Versorgungsauftrags. Da die Kapazitäten der Stammlieferanten irgendwann nicht mehr ausreichten, um den steigenden Bedarf alleine voll und ganz abzudecken, sah sich der Einkauf gezwungen, nach und nach weitere Lieferanten ins Portfolio aufzunehmen und relativ kleinteilig zu agieren. Dies bedeutete für die Unternehmen zum einen, dass zur Steuerung des Lieferantenportfolios ein deutlich höherer Aufwand erforderlich wurde. Gleichzeitig stiegen aber auch die Einkaufspreise zum Teil kräftig an – es war ja schon schwierig genug, überhaupt „passende“ Lieferanten zu finden.
Diese Marktkonstellation ändert sich momentan grundlegend: als Folge des konjunkturbedingten Nachfragerückgangs wandeln sich bisherige Verkäufermärkte zu Einkäufermärkten. Auf einmal gibt es wieder Lieferkapazitäten – und für Industrieunternehmen damit die Chance, das eigene Lieferantenportfolio zu konsolidieren und Komplexitätskosten abzubauen. Möglicherweise ist es ja jetzt wieder möglich, den gesamten Bedarf mit nur wenigen Lieferanten abzudecken und den Steuerungsaufwand entsprechend zu reduzieren. Global entstehende Überkapazitäten bei Lieferanten lassen sich zudem nutzen, um auf eine Senkung der Bezugspreise zu drängen. Der Zeitpunkt, um in dieser Hinsicht aktiv zu werden, ist aktuell günstig. Mit Hilfe intelligenter Digitalisierungslösungen lassen sich diese Herausforderungen schnell und erfolgswirksam bewältigen.
Das klassische Vorgehen bei der Lieferantensuche ist relativ arbeitsaufwendig und zeitintensiv. Vor dem Hintergrund der weiter voranschreitenden Globalisierung stößt der Prozess unabhängig davon zunehmend an seine Grenzen. Alle relevanten Informationen zu potenziell infrage kommenden Lieferanten zu erfassen und zu verarbeiten, ist heute nur noch mit Hilfe intelligenter digitaler Techniken und Tools möglich.
Digital Sourcing ist aus unserer Sicht ein äußerst wirksamer Hebel, um die Lieferantenlandschaft zu screenen, die richtigen Lieferanten herauszufiltern und sehr schnell zielführende Preisbenchmarks durchzuführen. Such- und Validierungsaufgaben, für die Einkäufer im Normalfall mehrere Wochen benötigen, lassen sich nach unserer eigenen Erfahrung aus Kundenprojekten in wenigen Tagen bewältigen. Generell können weitaus mehr Lieferkandidaten als beim klassischen Einkäufer-Vorgehen ermittelt und bewertet werden. Die Trefferquote ist signifikant höher, und es gelangen auf einmal auch Kandidaten in den Fokus, die zuvor – wegen der eingeschränkten Möglichkeiten – noch nirgendwo aufgetaucht waren. Mittelständische Unternehmen erhalten unter Zuhilfenahme dieses zukunftsweisenden, auf Big Data und Künstlicher Intelligenz (KI) fußenden Lösungsansatzes auf einmal eine Schlagkraft, über die sonst nur Konzerne verfügen.
Mit innovativen digitalen Lösungen lassen sich aber nicht nur in kurzer Zeit weltweit neue, interessante Lieferanten finden. KI-gestützt erlaubt es das Vorgehen auch, die Vertrauenswürdigkeit von Lieferanten objektiv zu messen und die Vorauswahl bzw. den Ausschreibungsprozess wesentlich zu beschleunigen.
Abbildung 1:
Größere Screening-Reichweite und -Geschwindigkeit führen beim digitalen Sourcing zu schnelleren und besseren Ergebnissen
Transparenz über den aktuellen Beschaffungsmarkt und zu den Chancen kurzfristig realisierbarer Einkaufspreisreduzierungen zu bekommen, ist aber nur ein Effekt, der sich mit dieser Lösung erzielen lässt. Auch bei der Wiederherstellung der Datenqualität kann die Digitalisierung dem Einkauf von großem Nutzen sein. Als die Geschäfte so richtig brummten, konnte das Onboarding neuer Lieferanten oft nicht schnell genug gehen. Entsprechend lax wurde in vielen Unternehmen die Dateneingabe gehandhabt. Das typische „Housekeeping“ wurde nach hinten priorisiert – mit der Konsequenz, dass es wegen der unzureichenden Datenqualität jetzt ungemein schwierig ist, nachhaltig effizienzsteigernde Maßnahmen zu ergreifen. Big-Data- und KI-Ansätze können hier helfen, den aktuellen Datentopf gründlich zu durchforsten und relativ schnell wieder vollständige Transparenz über das Einkaufsgeschehen der vergangenen drei, vier Jahre zu bekommen.
In Praxisprojekten müssen wir immer wieder feststellen, dass die Datenkonsistenz im Einkauf bei mittelständischen Unternehmen sehr oft den heutigen Anforderungen schlicht und einfach nicht gerecht wird. Von echter Transparenz über den Beschaffungsmarkt und das Einkaufsgeschehen sind die meisten Unternehmen noch weit entfernt. Viele scheuen sich auch, dieses Thema aufzugreifen – zum einen wegen des Aufwandes, nicht selten aber auch, weil es an Know-how und den erforderlichen Tools mangelt. In diesen Fällen gibt es allerdings die Möglichkeit, spezialisierte Dienstleister mit dieser Aufgabe zu betrauen, während die eigenen Mitarbeiter ihrer gewohnten Tätigkeit nachgehen. Wenn der Dienstleister dann nach wenigen Tagen seine Ergebnisse liefert, können weiterführende, zukunftsweisende Beschaffungsthemen endlich auf der Grundlage eines harmonisierten, qualitativ „sauberen“ Datentopfes behandelt und entschieden werden.
Digitale Einkaufslösungen sind prädestiniert, Transparenz über die Beschaffungskosten herzustellen und die erforderlichen Informationen für eine Bedarfskonsolidierung – auch über mehrere Gesellschaften hinweg – bereitzustellen. Durch die Bedarfskonsolidierung wird es möglich, Volumenvorteile zu generieren und über die größeren Bestellvolumina tendenziell niedrigere Bezugspreise zu realisieren.
Ein zweites großes Wirkfeld sehen wir im Preisbenchmarking. Im Vergleich zum klassischen Vorgehen lassen sich mit digitalen Sourcing-Lösungen wesentlich größere Screening-Reichweiten und -Geschwindigkeiten erzielen. Am Ende des Tages erhält man schneller bessere Ergebnisse: Der Einkauf erhält Transparenz über die aktuelle Situation auf den relevanten Beschaffungsmärkten und zu möglichen Einsparpotenzialen. Bei einem Digital-Sourcing-Ansatz sorgt im Übrigen allein schon das Gesetz der großen Zahl dafür, dass in Summe auch mit niedrigeren Einkaufspreisen gerechnet werden darf. Dazu ist oft nicht einmal ein Lieferantenwechsel erforderlich. Die Informationen aus dem globalen Preisbenchmark eignen sich vielmehr in hervorragender Weise, um den eigenen Lieferanten aufzuzeigen, zu welchen Preisen bestimmte Leistungen aktuell am Markt erhältlich sind. Mit einer solchen Transparenz lässt sich also auch ein gewisser „Verhandlungsdruck“ aufbauen, ohne die Lieferantenbeziehung nun gleich komplett aufzukündigen.
Ein weiteres attraktives Wirkfeld sehen wir beim Thema „Lieferantenkonsolidierung“. Als Folge der deutlich verbesserten Transparenz über die aktuelle Situation auf den Beschaffungsmärkten wird es möglich, bei relevanten Lieferanten globale freiwerdende Kapazitäten rechtzeitig für das eigene Unternehmen zu sichern. Wer jetzt auf diese innovative digitale Lösung setzt, hat alle Chancen, den damit verbundenen Informationsvorteil für sich auszunutzen, kostenintensive Lieferantenbeziehungen abzulösen und das Lieferantenportfolio in Summe zu konsolidieren. Durch Bündeln der Bedarfe auf weniger Lieferanten und Herausnehmen von Komplexität aus den Beschaffungsstrukturen lassen sich neben den Einkaufspreisen auch die Prozesskosten in der Einkaufsorganisation auf ein niedrigeres Niveau bringen.
In der aktuellen konjunkturellen Situation, in der eine weitere Abschwächung der Nachfrage nicht völlig auszuschließen ist, raten wir dringend dazu, die Lieferantenstrukturen zu screenen und sie im Hinblick auf überhöhte Material-, Prozess- und Komplexitätskosten gründlich zu überprüfen. Mit innovativen Digital-Sourcing-Tools lässt sich diese Aufgabe schnell und effizient bewältigen.
Die Einsparpotenziale nur aufzuzeigen, reicht natürlich nicht aus. So manches Vorhaben „versandet“ nach anfänglicher Euphorie, weil den Verantwortlichen einfach der Mut fehlt, der generierten Transparenz auch die entsprechende – faktenbasierte – Entscheidung folgen zu lassen und Lieferanten auszutauschen. Erfahrungen aus konkreten Kundenprojekten zeigen, dass sich dieser Mut in vielen Fällen lohnen dürfte: Abhängig von der jeweiligen Unternehmenssituation lassen sich mit dem von uns angewendeten Big-Data- und KI-gestützten Lösungsansatz kurzfristig Einsparungen zwischen fünf und fünfzehn Prozent der gesamten Beschaffungskosten realisieren.
Neben diesen kurzfristig wirkenden Effekten gibt es im Sourcing eine ganze Menge weiterer ungenutzter Potenziale, die mit intelligenten Digitalisierungslösungen gehoben werden können. Explizit erwähnen möchten wir hier den Aufbau von Ausschreibungsplattformen oder die Implementierung einer Prozessdigitalisierung „end-to-end“. Über die eher mittelfristig ausgerichteten Lösungsoptionen und Verbesserungspotenziale haben wir bereits in einer früheren Ausgabe der INSIGHTS ausführlich informiert.1 Auch für diese Lösungsansätze gilt: Der Zeitpunkt, um aktiv zu werden, ist jetzt! Wer mit der Digitalisierung im Sourcing allzu lange wartet, riskiert, dass Wettbewerber in die Lücken stoßen, die sich am Beschaffungsmarkt derzeit auftun.
1 - Siehe hierzu TMG INSIGHTS, Ausgabe 19, Artikel „Mit intelligenter Digitalisierung zum optimierten Lieferantennetzwerk“